Internationer Frauentag: Paradies oder Horrortrip? Zwei Tage nur unter Frauen - WELT

2022-06-24 21:36:14 By : Mr. Leo Dai

M anche Frauen behaupten gerne, eine Welt ohne Männer wäre besser. Viel friedlicher, viel glücklicher und viel schöner. Eine Welt ohne Männer sei schon deshalb angenehmer, weil es dann keine blöden Witze mehr über Cellulite, vormenstruelle Launen oder angeblich fehlende Kompetenz im Straßenverkehr gäbe.

Und überhaupt, so sagen diese Frauen, Männer könnten uns sowieso nicht verstehen. Das liege nicht nur daran, weil ihnen die dafür grundsätzlich notwendige Gabe fehle, richtig zu zuzuhören. Sondern auch daran, dass Männer dieses bestimmte Körperteil unterhalb der Gürtellinie besäßen, in das ihnen gelegentlich das Hirn verrutsche.

Einige Männer, so sagen diese Frauen, dächten sogar ausschließlich mit besagter Region, was dann ein harmonisches Miteinander der Geschlechter eigentlich unmöglich mache – und ein gleichberechtigtes sowieso. Ergo: Eine Welt nur mit Frauen muss das Paradies sein. Warum sich dann also nicht zum 100. Internationalen Frauentag eine Männer-Auszeit gönnen. Zwei Tage nur unter Frauen, zwei Tage Weiblichkeit pur. Das werden zwei absolut entspannte Tage. Dachte ich. Dann ging ich in die Frauensauna.

Normalerweise ist ja eine Sauna ein Ort der Besinnung und Entspannung. Ziel ist es, den Körper zu entgiften und den Stress des Alltags für kurze Zeit zu vergessen. Und das geht so: Man sitzt man bei 60 bis 90 Grad in einem kleinen Holzkasten auf einem Handtuch, schwitzt sehr viel, nur um sich anschließend mit eiskaltem Wasser zu begießen und dabei nach Luft zu schnappen wie ein Fisch auf dem Trockenen. Danach wird entspannt, manchmal ein bisschen geschlafen. Es wird gelesen. Oder einfach nur an die Decke geguckt.

Damit die Besucher das auch alles richtig machen, gibt es in fast jeder Sauna ein großes, auffälliges Schild, meist hängt es an der Tür. Es beschreibt minutiös die einzelnen Schritte. Das Wort „Ruhe“ kommt in dieser Anweisung auffallend häufig vor. Manchmal wird es auch noch untermalt von einer Zeichnung von einem über die gespitzten Lippen gelegten Finger. Ruhe ergibt ja auch Sinn, wenn man sich entspannen möchte. Könnte man annehmen.

Doch in einer Frauensauna ist das bloße Theorie. Zumindest für Sabine. Die schlanke Dame besaß ihre ganz persönliche Version des Entgiftens, nämlich die, dass sie bei 90 Grad erst einmal ihren ganzen Beziehungsfrust mit Timo rausließ. Denn Timo, der macht einfach alles falsch. Mal war er weg, als er da sein sollte. Dann war er wieder da, obwohl er eigentlich längst weg sein sollte. Und überhaupt, was er so mit Sabine macht, das klang nicht gerade wie die Reinkarnation von Casanova. Die Geschichten von Timo untermalte Sabine mit ausladenden Gesten. Unter anderem schöpfte sie unaufhaltsam Wasser aus einem Eimer und entlud ihre Wut, indem sie mit der Kelle vermutlich mehrere Liter über den Heizofen goss.

Es wurde heiß, sehr heiß.

Und wir saßen wie die Hühner auf der Stange.

Jetzt hatte Sabine leider ein zu kleines Handtuch mitgebracht. Das Schild mit der Bitte „Kein Schweiß auf Holz“, das an die innere Saunatür in Augenhöhe festgenagelt worden war, schien sie jedenfalls nicht bemerkt zu haben. Aber, so dachte sich Sabine sicherlich, alles halb so schlimm, wir sind ja schließlich unter uns Frauen. Da muss man sich nicht genieren. Deshalb geht frau ja auch in eine Frauensauna. Ist fast wie zuhause. Wir können hier alles machen, ohne Angst haben zu müssen, dass uns die Männer dabei beobachten könnten. Und zwar solche Dinge, die frau sonst nur alleine und hinter abgeschlossener Badezimmertür auszuführen wagt. Zum Beispiel den Einsatz eines Rasierers in bestimmten Zonen. Oder anderer Gegenstände zur Körperpflege.

Diese Denkweise hatte offenbar auch Sabines schwergewichtige Freundin verinnerlicht, die mit gerunzelter Stirn den Timo-Geschichten konzentriert lauschte, dabei nickte und ihrer Zustimmung gelegentlich dadurch Ausdruck verlieh, indem sie noch heftiger mit ihrem Hornhautschaber über die rechte Ferse säbelte. Wenn sie etwas über Timo sagte, dann unterstrich sie den Kommentar, indem sie mit dem Schaber wie mit einem Zeigestock rumfuchtelte. Wie gesagt, es war heiß, sehr heiß. Und wir saßen wie die Hühner auf der Stange.

Über das erste Mal, als ein paar Tropfen von dem Schaber auf meinem Handtuch landeten, sah ich hinweg.

Beim dritten Mal ergriff ich die Flucht.

Ich erkannte, dass ich tausendmal lieber in einer gemischten Sauna durch das aus Scham um meinen Körper gewickelte Handtuch ersticken wollte, statt diese weiblichen Al Bundys weiter ertragen zu müssen. Wenn eine männerfreie Welt das Paradies sein sollte, dann für mich nur unter der Bedingung, dass der Hornhauthobel zuhause bleibt.

Vor diesem Saunabesuch wollte ich mir ursprünglich eine Frauenreise buchen. Ich gebe zu, es war ein ambitioniertes Projekt. Allerdings gibt es in Schöneberg eines der wenigen Reisebüros in Deutschland, das entsprechende Touren vermittelt: Frauen unterwegs . Ich ließ mich beraten. Die Teilnehmerinnen reisen in kleinen Gruppen unter einer deutschsprachigen Leitung. „Sie werden sehr positive Erfahrungen machen“, versprach Evelyn Bader. Mit Frauen entwickle sich eine ganz andere Art von Urlaubsgefühl.

Die Frauen suchten das Gespräch, man wolle sich schließlich austauschen über das Erlebte. Das sei mit Männern oft nicht möglich, sagte sie und reichte mir den Katalog. Er umfasst 90 Seiten. Es gibt sogar Hotels, in denen ausschließlich Frauen wohnen. Ich blätterte: Wandern im Harz, Segeln an der Ostsee, Trekking in Nepal – und natürlich Wellness. Mein Blick fiel auf ein Foto von lachenden Frauen in der Sauna.

Weiblichkeit in Reinform, und dann gleich für ein, vielleicht sogar zwei Wochen. Soweit war ich noch nicht.

Stattdessen entschied ich mich für den Kursus „Kreativer Zeitgenössischer Tanz“ in der Schokofabri k , einem Frauenzentrum in Kreuzberg. Hoffnung keimte in mir auf. Ästhetische Bewegungen, da kann doch echt nichts schief gehen mit mir und den Frauen. Die Emotionen mal so richtig rauslassen, ohne dabei gleich eklig zu werden. Außerdem stammt die Schokofabrik noch aus Zeiten, in denen die Emanzipation ein Begriff der aktuellen politischen Diskussion war.

Das große Gebäude mit Hinterhof wurde nach eigener Aussage vor fast 30 Jahren „von der feministischen Szene entdeckt“ und besetzt, inzwischen haben die Frauen es gekauft. Der Verein bietet neben beruflicher Qualifikation und Beratung auch Sportkurse. Männer dürfen hier nur im Notfall rein. Und damit ist nicht gemeint, dass ein hilfloser Typ an die Tür klopft und fragt: „Emine, Schatz, hast du zufällig die Nummer von Mesut? Ich hab blöderweise mein Handy verlegt.“

Die Berliner Choreografin und Tanzlehrerin Vanessa Roy, die schon mit vielen Musikern zusammengearbeitet hat und seit zehn Jahren den Kursus gibt, empfing mich mit folgendem Satz: „Ich behandle dich aber genauso wie die anderen.“ Das hätten wir also auch schon mal geklärt. Keine Extrawürste. So sind sie, die Frauen unter Frauen. Wir wissen ja, wie wir sonst eine Extrawurst bekommen. Ein bisschen klimpern mit den Wimpern, ein bisschen Unschuldsblick, den Ausschnitt tiefer ziehen und ein wenig mit dem Popo wackeln – und schon trägt ein völlig Fremder auch schon mal einen Kasten Bier fünf Etagen nach oben in die Wohnung, oder er schiebt liegen gebliebene Autos an, oder er trägt Kinderwagen inklusive Baby und 20 Hipp-Gläschen die Treppe hoch.

Doch bei Vanessa? Keine Chance. Bei ihr wird auch mit dem Popo gewackelt, allerdings schmerzt er danach. In den nächsten zwei Stunden tanzte ich, was das Zeug hält. Wer sich verquasselte, wurde angehalten, es nicht zu tun. Schritt nach rechts, Schritt nach links, Drehung und weiter. Mit den anderen Frauen wälzte ich mich auf dem Boden. Die Beckenknochen fingen an zu schmerzen. Ich glaubte, einen Knoten in meinen Beinen zu haben. Mir wurde schwindelig. Wir krabbelten, machten Fehler, kicherten, kamen aus dem Takt und begannen noch einmal von vorn. Es heißt zwar immer: Tanzen ist Frauensache. So viel ist aber schon einmal sicher: Bei mir definitiv nicht, zumindest, wenn ich einer Frau gänzlich die Führung überlassen soll. Jetzt weiß ich wenigstens, wofür ich einen Mann wirklich brauche.

Nach so viel Körperlichkeit gönnte ich mir erst einmal eine Auszeit bei „Frau, Spiritualität und Alltag“. So hieß das Treffen unter der Leitung von Pfarrerin Monika Matthias in der evangelischen Martha-Gemeinde in Kreuzberg. Endlich mal was für den weiblichen Geist, dachte ich. Der zur Gemeinde gehörende Verein „Frau und Beruf e.V.“ und „Mira Martha“ ist in Sachen Frauenarbeit äußerst aktiv. Es gibt eine Beratungsstelle, Selbsthilfegruppen und einen „Treffpunkt mit emanzipatorischen Angeboten“ . Wenn nicht da, wo sonst kann man über eine Welt ohne Männer reden? Vor allem über dadurch entstehende paradiesische Verhältnisse.

„Für mich ist das wie ein Baden in Weiblichkeit“, sagt Pfarrerin Monika Matthias dann auch über die Zusammenkunft. 95 Prozent unseres Alltags verbrächten wir schon mit Männern, also warum dann nicht einmal fünf Prozent nur uns widmen. „Wenn Frauen unter sich sind, dann entwickelt sich eine ganz andere Dynamik“. Alles Quatsch, dachte ich noch. Esoterischer Humbug. So was gibt es doch gar nicht, Frauendynamik. Das hatte ich schon in der Sauna und im Tanzkurs genug.

Wir betraten den Raum in der ersten Etage, ich und die sechs anderen Teilnehmerinnen. Er war warm, auf dem hellen Teppichboden stand eine Kerze, daneben frische Blumen, Meditationskissen und Decken lagen bereit. Ich seufzte erleichtert: kein Körperpflegemittel weit und breit.

Doch ich blieb skeptisch: Ich kannte diese anderen Frauen doch gar nicht. Was sollte ich denen denn erzählen? Und dann war da noch eine Pfarrerin dabei, die mich dazu aufforderte, mit ihr und den anderen im Kreis stehend ein „Shalom“-Gebet zu tanzen. Schulter an Schulter streckten wir die Hände in die Höhe, nahmen die Welt symbolisch in unsere Arme, nur um anschließend eine Bibelgeschichte gefühlte zehntausend Mal vorgelesen zu bekommen, bei der wir uns dann wahlweise in Jesus oder seine Gastgeberin Martha und ihre Schwester Maria hineinversetzen sollten. Ich beobachtete mich selbst wie in einem Film. Saß ich jetzt wirklich in einem Gesprächskreis?

Nun gibt es aber über Frauen viele Klischees. Manche davon sind pure Erfindung, etwa dass wir nicht mit Zahlen und Geld umgehen könnten. Oder dass wir handwerklich unbegabt seien. Gleiches gilt für den sportlichen Umgang mit dem Ball, wie die deutsche Nationalmannschaft für Frauenfußball bewiesen hat. Aber zwei Klischees, die stimmen hundertprozentig.

Zweitens: Wenn Frauen zusammensitzen und sich dabei an einer wärmenden Tasse oder wahlweise an einem gut gefüllten Rotweinglas festhalten können, ist der weibliche Redefluss nicht mehr zu stoppen. Ich habe bis heute keine Erklärung dafür gefunden, doch es scheint da eine Art Automatismus zu geben.

Und genau das wusste auch Pfarrerin Matthias.

Denn was packte sie da aus ihrem Korb aus, nachdem wir ein „Shalom“ im Kreis getanzt hatten? Zwei gut gefüllte Thermoskannen, einmal Yogi-, einmal Rooibuschtee. Und damit hatte sie mich, diese Frauenversteherin vor dem Herrn. Ich erzählte und erzählte, hörte gar nicht mehr. Und auch den anderen Frauen ging es so.

Wir verrieten uns die intimsten Geheimnisse, die man sonst vielleicht nur einem Tagebuch anvertraut. Obwohl wir uns völlig fremd waren, kamen wir uns ganz nah, konnten gar nicht mehr aufhören zu berichten und hörten einander zu, wie es sonst höchstens die eigene Mutter gemacht hätte. Es ging um die Hochs und Tiefs in Beziehungen und Familie, im Beruf und um die kräfteraubende Jobsuche. Kurzum um das, was einen in diesen manchmal schwierigen Zeiten umtreibt, was einen manchmal nicht schlafen lässt. Wir lachten, wir schwiegen miteinander.

Und ich erkannte, dass es doch so ist, wie manche Frauen behaupten: Kein Mann dieser Welt hätte uns in diesem Moment verstanden und uns das gegeben, was wir gerade brauchten. Denn das zu ertragen, dazu waren Frauenschultern notwendig.

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