Mühlhausen-Ehingen: Das letzte grüne Aufbäumen? Zwei Förster zeigen uns Orte, an denen man dem Wald beim Sterben zusehen kann | SÜDKURIER

2022-09-09 21:29:21 By : Ms. Darlee Zou

Visual Story Veröffentlicht am 09. Mai 2020

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Ein Stamm steht noch. Ansonsten ist im Umkreis bis auf ein paar herabgefallene Äste alles kahl. Eine trostlose Lichtung mitten im Ehinger Wald. Daran trägt aber keine Axt oder Säge Schuld, wie Werner Hornstein erklärt. „Es ist einfach zu trocken“, sagt der Mann mit Schlapphut und Dreitagebart.

„Die Bäume kommen nicht mehr ins Wachstum. Und irgendwann sterben sie ab – so wie hier.“

Hornstein steht unter dem geöffneten Dach seines Kofferraums. Denn wie um ihm zu widersprechen, schüttet es gerade in Strömen. Aber der Regen, der auf die Blätter prasselt, ist für den Förster nicht mehr als der viel zitierte Tropfen auf den heißen Stein.

„Die Landwirte freuen sich, dass ihre Wiesen und Felder Wasser abbekommen. Aber für den Wald reicht der Regen nicht aus – das meiste Wasser verdunstet auf der Blattoberfläche und kommt nicht im Boden an. Erst recht nicht in den tiefen Erdschichten, in denen Eichen, Tannen und Kiefern wurzeln.“

Hornstein hat einen Ausdruck dabei, der das dokumentiert. Der Dürremonitor des Helmholtz Zentrum für Umweltforschung zeigt: In ganz Deutschland sind die Böden außergewöhnlich trocken – am dunkelsten aber schimmert es im Südwesten der Karte.

„Im Hegau haben wir es mit extremer Dürre zu tun“, erklärt Hornstein die rot-schwarzen Flecken auf dem Ausdruck. Sein Kollege, Kreisforstamtsleiter Bernhard Hake, ergänzt: „Solche Bilder hatten wir früher nur im Hochsommer.“

Wie sehr die Bäume von der extremen Dürre überfordert sind, wird ein paar Meter weiter deutlich. Hornstein deutet auf eine Gruppe Buchen: „Diese Bäume bezeichne ich als Hegauer Urwald.“ Urwald, von dem bald nur noch Erinnerungen übrig sein könnten. Schwarze Äste hängen herab, an der Rinde klaffen Risse hervor.

„150 Jahre lang standen diese Bäume hier, aber die Dürre 2018 war zu viel für sie. Jetzt kann man ihnen beim Sterben zusehen“, sagt Hornstein.

Bernhard Hake nickt bedauernd: „Die dürren Äste, die man in der Krone erkennt, hat der Baum bereits aufgegeben. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie runterfallen.“ Schon jetzt müsse man sich Gedanken machen, wie lange der Weg neben den Bäumen überhaupt noch sicher sei.

Das alles klingt dramatisch. Dabei blüht der Wald rings um die Buchengruppe in sattem Grün. „Wir bezeichnen das als Notblüte“, erklärt Hornstein. „Im Gefühl, dass es der letzte Sommer sein könnte, aktiviert der Wald seine Reserven.“ Anstatt wie bisher im Mai, seien die Blattknospen dieses Jahr bereits im April aufgesprungen.

Ebenfalls verfrüht könnte die Flugzeit der Borkenkäfer einsetzen, befürchten die Förster. Dem Schädling, der sich in die Rinde bohrt, sich paart und immer tiefer in den Stamm hineinfrisst, haben die ausgezehrten Bäume wenig entgegenzusetzen.

„Fällt der Stamm um, kommen noch mehr Käfer, die sich über das tote Holz hermachen. Und: Es bilden sich Schneisen, in die der Wind eindringt“, weiß Hornstein. „Das wiederum erschwert den verbliebenen Bäumen das Überleben.“ Ein Teufelskreis.

Überhaupt, für die Förster, die beide in den Achtzigern ihre Arbeit aufgenommen haben, hat sich vieles zum Negativen verändert. „Früher hatte man die Möglichkeit zu gestalten“, fasst Hake zusammen. „Heute reagieren wir nur noch.“

Manchmal im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Wasserkanister in der Hand. Werner Hornstein zeigt auf einen Plastikbehälter, den er im Kofferraum mit sich führt. Auch wenn er die Arbeit in seinem Revier alleine verrichten muss, lässt er es sich nicht nehmen, junge Bäume am Wald- und Wegrand aufzupäppeln, die ihm besonders am Herzen liegen.

„Es gibt zum Beispiel eine schöne Espe am Waldrand, da tut es mir im Herzen weh, wenn es der schlecht geht.“ Hornstein ist Katholik, hält es aber mit Martin Luther: „Wenn morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen.“

Noch ist der Wald im Hegau von der Apokalypse verschont geblieben. Als kleiner Hoffnungsschimmer dient vielleicht, dass Käferpopulationen irgendwann einen Höhepunkt erreichen und sich danach nicht weiter vermehren.

Aber wann ist es soweit? Und was ist mit der Trockenheit? Werden wir uns in Zukunft an umgefallene Bäume und kahle Lichtungen gewöhnen müssen? „Schwer zu sagen, denn im Wald braucht alles Zeit“, sagt Bernhard Hake.

Eines steht aber fest: Der Wald der Zukunft wird vielfältig sein. „Unsere Antwort lautet im Moment: Multi-Kulti“, sagt Hake. Was der Kreisforstamtsleiter meint, zeigt er am Waldausgang.

„Diese Baum-Hasel ist in der Türkei und Rumänien beheimatet“, sagt er und deutet auf einen von einer Kunststoffröhre geschützten Setzling. Daneben: eine junge Libanon-Zeder und eine Roteiche, wie sie in Nordamerika häufiger vorkommt. „Unsere Hoffnung ist, dass diese Bäume besser an die extremen Witterungen angepasst sind, die uns der Klimawandel gebracht hat.“

Ob das funktioniert? Werner Hornstein bemüht sich, positiv zu bleiben. „Außer Martin Luther hab‘ ich noch ein weiteres Vorbild“, verrät er. In Südfrankreich habe ein Einsiedler im 18. Jahrhundert in einem scheinbar zerstörten Waldgebiet angefangen, Eicheln zu setzen. „Im Laufe der Jahrhunderte ist eines der größten Waldgebiete Frankreichs entstanden“, erzählt Hornstein.

Eine schöne Vorstellung, dass in 100 Jahren auch bei Ehingen viele gesunde Baumkronen in den Himmel ragen. Zumindest die Samen dafür sind gelegt.

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